Niedrige Zinsen, günstige Praxispreise – für junge motivierte Tierärzte/innen sind die Chancen hervorragend, eine Tierarztpraxis zu übernehmen. (Symbolfoto: © skeeze/pixabay)
Die Tierarztbranche klagt: schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung, Notdienstkrise, Tierarztmangel. Unseren Kolumnisten Andreas Herzog macht das traurig und fast sogar etwas wütend, denn eines geht für ihn dabei unter: Die große Chance, als Tierarzt ein spannendes, selbstbestimmtes, Berufsleben zu gestalten. Er bricht eine Lanze für mehr Mut zur Selbständigkeit in eigener Praxis.
Kolumne von Dr. Andreas Herzog
Ja, es stimmt – leider. Zuletzt wurden viele junge Tierärzte in den ersten Jahren ihres Berufslebens richtig gehend verheizt: Schlechte Bezahlung, zu lange Arbeitszeiten, rauher Umgangston, Tierkliniken, die ihre Interns oder Anfangsassistenten überwiegend dazu benutzt haben, die Nacht- und Notdienste abzudecken.
Zu viele junge Tierärzte haben mir berichtet, dass sie deshalb komplett aus der Tiermedizin ausgestiegen sind oder es wollen. Teilweise auch, weil Sie die Hoffnung aufgegeben haben, jemals ein vernünftiges Auskommen als Tierarzt zu erarbeiten.
Sein Tierarztleben selbst gestalten
Doch ganz so düster sind die Zeiten nicht (mehr). Zum einen ändern sich die Arbeitsbedingungen für angestellte Tierärzte gerade. Es entsteht ein Arbeitnehmermarkt.
Was jedoch viel wichtiger ist:
Aus meiner Sicht haben gerade heute junge motivierte Tierärzte/innen hervorragende Chancen, einen tollen, selbstbestimmten Beruf auszuüben und dabei zugleich ein hohes Einkommen zu erzielen – in der eigenen Praxis.
Mut und eine gute Ausbildung
Das einzige was sie dazu brauchen, ist eine fundierte Ausbildung – etwa einen Fachtierarzt oder eine vergleichbare Qualifikation. Und Mut – den Mut, sich selbständig zu machen, Tierarzt und Unternehmer/in sein zu wollen.
Es gab noch nie so viele Möglichkeiten, günstig eine Tierarztpraxis zu übernehmen. Und das Angebot wird in den nächsten Jahren sogar noch größer. Viele Praxiseigentümer aus der Babyboomergeneration (den geburtenstarken Jahren Mitte des vergangenen Jahrhunderts) wollen eben nicht arbeiten bis sie 65 Jahre alt oder gar noch älter sind. Sie planen ihre Praxen deutlich früher abzugeben – wenn sich Nachfolger/innen finden.
Von den über 5.600 männlichen Praxisinhabern in Deutschland, dürften sich fast 2/3 in der Altersgruppe der “Rentenanwärter” befinden. (Grafik: © WiSiTiA/jh/Zahlen: BTK-Tierärztestatistik 2018 – Tabellenzahlen: Inhaber und Angestellte)
Klein aber fein: Praxen für die sich Investoren nicht interessieren
Andere erkennen diese Chancen. Finanzinvestoren drängen in den Markt der Kleintierpraxen. Sie zahlen hohe Preise – zum Teil ein Vielfaches des Jahresgewinns vor Zinsen und Steuern bereinigt um die Abschreibungen. Auch weil sie sich unbedingt Marktpositionen sichern wollen.
Die Preise für kleinere Praxen und Standorte, für die sich (noch) keine Private Equity Fonds oder sonstige Investoren interessieren, sind dagegen immer noch günstig. Meist werden zur Wertermittlung hier die Kaufpreisempfehlungen des bpt angewandt. Daraus ergeben sich Kaufpreise für Kleintierpraxen von cirka 50 bis 60 Prozent eines durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten drei Jahre.
Lukrative Kleintierpraxis: sechsstelliges „Gehalt“ möglich
Und eine Selbstständigkeit ist lukrativ: Eine gut geführte Kleintierpraxis kann eine Umsatzrendite von rund 30 Prozent erzielen. Mir persönlich sind Praxen bekannt, die auch Renditen von 40 Prozent und mehr erwirtschaften.
Schon ab einem Umsatz von 200.000 bis 250.000 Euro kann man von seiner Kleintierpraxis vernünftig leben. Eine solche Praxis wirft – gut geführt – einen Gewinn vor Steuern von ca. 60.000 bis über 100.000 Euro im Jahr ab. Dieses Einkommen übersteigt das normale Gehalt eines angestellten Kleintierpraktikers schon mal deutlich.
Von den über 5.600 männlichen Praxisinhabern in Deutschland, dürften sich fast 2/3 in der Altersgruppe der “Rentenanwärter” befinden. (Grafik: © WiSiTiA/jh/Zahlen: BTK-Tierärztestatistik 2018 – Tabellenzahlen: Inhaber und Angestellte)
Mehr als 40 Stunden Arbeit muss sein
Es ist aber heute gar kein Problem, als Kleintierpraktiker auch ein Jahreseinkommen jenseits der 200.000 Euro zu erzielen – wenn man eine Praxis mit einem Umsatz von mehr als 750.000 Euro übernimmt oder sich an einer größeren Gemeinschaftspraxis oder Tierklinik beteiligt oder seine eigene Praxis klug weiterentwickelt.
Selbstverständlich ist es schwierig, ein solches Einkommen in einer 40 Stundenwoche zu generieren. Es wird aber auch kaum einen anderen Beruf geben, der in 40 Wochenstunden ein sechsstelliges Jahreseinkommen ermöglicht.
Günstige Praxen – niedrige Zinsen
Die Möglichkeiten für Tierärzte sind jedenfalls im Moment hervorragend. Das Angebot an guten Praxen ist sehr groß. Die Zinsen sind dagegen weiter auf einem historisch noch nie da gewesenen niedrigen Niveau von deutlich unter zwei Prozent. Es gibt genügend Banken, die den Weg in eine gut geplante Selbständigkeit finanzieren, zum Teil sogar ohne das Eigenkapital vorhanden sein muss.
Häufig ist jungen Tierärzten auch nicht bekannt, dass der Kauf einer Praxis auch steuerlich sehr interessant ist. Bis zu 45 Prozent des Kaufpreises können über Steuerersparnisse (re) finanziert werden.
Partner suchen
Selbst wenn einem das Projekt „eigene Praxis“ allein zu gefährlich erscheint oder man sich der Aufgabe noch nicht gewachsen fühlt, sollte man darüber nachdenken. Vielleicht geht man es zu zweit oder zu mehreren an? Gerade für junge Frauen bietet ein Partnerschaftsmodell erhebliche Vorteile. Eine Praxisinhaberin kann – gerade auch als Mutter – ihre Arbeitszeit selbst bestimmen und deutlich flexibler gestalten.
Bei der Übernahme einer Praxis mit 200.000 Euro Gewinn bleibt auch für zwei Tierärzte immer noch deutlich mehr übrig als im Angestelltenverhältnis. Ganz zu schweigen von den Freiheiten, sich seinen Beruf, seine Arbeitszeiten etc. selbstbestimmt zu gestalten.
Expertenwissen nutzen
Was ich mir also vor allem von jungen Tierärzten/innen wünsche: Nicht allein auf die unbestreitbar durchaus (noch) bestehenden Probleme der Branche schauen, sondern offen sein für die Chancen. Niemand muss den Weg in eine Selbstständigkeit allein gehen. Es gibt gute Experten, mit denen man langfristig einen Karriereplan erarbeiten kann.