Wie können junge Tierärzt*innen den Kauf einer Praxis finanzieren?

Dr. Andreas Herzog
Vet-Consulting GmbH

Etwa 3.500 selbständige Tierärzte* der Baby-Boomer-Generation wollen in den nächsten
fünf bis zehn Jahren aufgrund des demographischen Wandels in den Ruhestand gehen. Das
bedeutet auch: Für min. 3.000 Tierarztpraxen muss eine Nachfolgelösung gefunden werden.
Aktuell ist nicht zu erkennen, dass nachfolgende Generationen in diesem Umfang eine
Selbständigkeit anstreben, obwohl die wirtschaftlichen Perspektiven dafür ausgezeichnet
sind. Das führt zu einem gesellschaftlichen Problem:

Sollten Branche und Politik jungen Tierärztinnen hier keine Perspektive bieten, so wird es
keine flächendeckende Präsenz tierärztlicher Praxen mehr geben. Dies birgt die Gefahr, dass
sich die tierärztliche Versorgung der Nutz- und Haustiere deutlich verschlechtern wird, wenn
nicht sogar regional gefährdet ist.
Die Übernahme einer Tierarztpraxis muss man immer aus zwei Perspektiven betrachten: Der
des Verkäufers und des Käufers.

Inhaber-Perspektive: Finde ich einen Nachfolger?

Ein Praxisinhaber, der seinen Ruhestand plant, stellt sich zunächst zwei Fragen.

  1. Was ist meine Praxis überhaupt wert?
  2. Finde ich für die Praxis einen Nachfolger/Käufer?

Der Markteintritt von Investoren ab dem Jahr 2015 bedeutet eine Zäsur für die Tiermedizin
in Deutschland. Rückblickend wird man sagen, dass sich seitdem die Praxislandschaft
grundsätzlich verändert hat. Auch beim Thema Praxisbewertung und Struktur der
Praxisabgabe gibt es seitdem eine Zweiteilung. Während für Investoren der Cash Flow, also
das Geld welches sich aus einer Praxis ziehen lässt, die entscheidende Größe ist, verwenden
übernehmende Tierärzte häufig noch einen umsatzbasierten Wertansatz.

Investoren stellen zusätzlich (üblicherweise) noch einige Bedingungen, die erfüllt sein
müssen, damit eine Übernahme überhaupt in Frage kommt.

  • Sie erwarten eine gewisse Größe der Praxis. Anicura, Evidensia, Altano kaufen ab ca.
    1 Million Euro Umsatz und vier tierärztlichen Vollzeitstellen; bei den kleineren
    Ketten sind es mindestens 600k Euro Umsatz, bzw. drei Tierärzte.
  • Eine Mitarbeit des Verkäufers für mindestens drei weitere Jahre wird vorausgesetzt.
  • Die Kaufpreiszahlung erfolgt gestaffelt. Meist sind 60 – 70 Prozent sofort fällig, der
    Rest folgt aufgeteilt auf drei Jahre und zwar abhängig vom weiteren Umsatz oder
    Gewinn der Praxis.
    Diese Kaufpreiskomponente wird häufig auch Earn Out genannt.

Bei der Übernahme durch Tierärzte haben häufig andere Faktoren eine hohe Priorität.

  • Die Erfahrung in der Beratungspraxis der letzten Jahre zeigt: Für einen Großteil der
    Tierärztinnen spielt der Standort einer Praxis – möglichst im Umkreis des derzeitigen
    Wohnorts – eine zentrale Rolle. Eigentlich waren nur ausländische Tierärzte maximal
    flexibel was den Praxisstandort betrifft. Für diese Käufergruppe sind dann die
    wirtschaftlichen Kennzahlen wichtiger.
  • Anders als bei Investoren ist eine langjährige Mitarbeit des abgebenden Tierarztes
    meist unerwünscht, da ja der Käufer die Rolle des bisherigen Praxiseigentümers
    einnehmen möchte.
  • Der Praxiswert wird bei Übernahme durch Tierärzte häufig wie folgt ermittelt:
    Umsatz x Faktor = ideeller Wert. Dabei erfolgt eine Aufteilung nach Leistungs- und
    Medikamenten Umsatz. Der Faktor liegt zwischen 0,2 und 0,5, abhängig auch von
    Tierart, Lage und Größe der Praxis.
  • Hierzu kommt dann noch der Verkehrswert des Praxisinventars und der Wert der
    Medikamente und Verbrauchsmaterialien.

Die beim Verkauf an einen Tierarzt zu erzielenden Praxispreise liegen deutlich unter dem,
was bei einem Verkauf an einen Investor möglich wäre. Inhaber sollte jedoch bedenken,
dass sie in der Praxis noch drei Jahre weiterarbeiten müssen – und der Gewinn in dieser Zeit
dem Käufer zusteht. Es gab deshalb schon Fälle, bei denen der Abgeber sich nicht schlechter
gestellt hätte, wenn er diese Zeit noch weitergearbeitet und dann das Praxisinventar
verkauft hätte. Jedoch spielen für solche Entscheidungen auch nicht monetäre Faktoren eine
Rolle.

Käufer-Perspektive: Kann ich den Kauf finanzieren?

Aus der Sicht der potenziellen Übernehmer ist die zentrale, oft mit Sorge betrachtete Frage:
Kann ich mir eine Praxis überhaupt leisten? Kann ich sie finanzieren?

Langjährige Erfahrungswerte aus der Begleitung von Praxisübernahmen können
Interessenten beruhigen: Ab einer bestimmten Umsatzgröße ist der Kauf einer Praxis sogar
vollfinanziert ohne Eigenkapital möglich. Trotzdem hat ein Käufer – verglichen mit dem
Gehalt in einer Anstellung – am Ende des Jahres nach Zins und Tilgung immer noch deutlich
mehr Geld zur freien Verfügung. Das werden zwei Rechenbeispiele im Vortrag zeigen.
Hilfreich sind dabei vor allem die Förderprogramme der KFW für Existenzgründer und die
Abschreibungsmöglichkeiten für den ideellen Kaufpreis bei der Übernahme. Hierdurch
„bezahlt“ das Finanzamt ca. 20 Prozent der Übernahmekosten.

Deutschlands Tierarztpraxen sind moderat bewertet

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wirtschaftlich ist die Übernahme einer Tierarztpraxis auf
absehbare Zeit lukrativ. In Deutschland sind die Praxen derzeit immer noch sehr moderat
bewertet. Deshalb ist sogar eine hundertprozentige Finanzierung des Kaufpreises möglich.
Außerdem ist das Angebot an Praxen größer als die Nachfrage.
Deshalb müssen Tierärztekammern und Berufsverbände deutlich größere Anstrengungen
unternehmen, um junge Tierärztinnen für eine Selbständigkeit zu begeistern und sie auf dem
Weg zu unterstützen. Sollte das der Branche nicht gelingen, wird es in Deutschland
spätestens in zehn Jahren ein brisantes Problem mit der tierärztlichen Versorgung
insbesondere in den ländlichen Räumen geben.

* Mit dem generischen Maskulinum oder Femininimum – etwa „Tierärztin“ / „Praxisinhaber“
/ „Käufer“ etc. – sind in diesem Text immer Tierärzte, Tierärztinnen und weitere
Geschlechteridentitäten gleichberechtigt gemeint. Die Reduzierung dient der besseren
Lesbarkeit..